Meine
                                                                                   
Neue Methode
            
zur Ausbildung der Pferde für die Hohen Schulen

von Dr. Daniel Ahlwes, Hipponoos



Vor 15 Jahren kam ein 82jähriger Patient in meine Sprechstunde und erklärte, ab jetzt das Reiten aufgeben zu wollen: er sei am Tag zuvor aus dem Sattel gerutscht, als er die Wildschweine aus einem Rübenacker vertreiben wollte (!!).

Damit eröffnete sich mir die Perspektive, vielleicht selbst auch bis ins hohe Alter reiten zu können, und seitdem ist meine Messlatte auch 82 Jahre. Weil ich in den letzten 9 Jahren autodidaktisch (mithilfe der alten Bücher) viele in Vergessenheit geratene Dinge wieder entdeckt habe,  hatte ich schon länger mit dem Gedanken gespielt, noch einmal ein junges Pferd ganz nach deren Grundsätzen einreiten und komplett ausbilden zu wollen.

Mein Gefühl sagte mir aber auch, dass ich mich wohl spätestens ab dem 72. Lj. nicht mehr trauen werde, noch mal ein Pferd einzureiten. Da kam mir mit 67 Jahren, im Frühjahr  2024, die Möglichkeit Pacos jüngsten Sohn, den Poco Baio zu erwerben, gerade recht.

Seitdem ich den Cavalerice Francois des Salomon de la Broue erstmals ins Deutsche übersetzt und die verschiedenen Versionen der „Nouvelle Methode/New Method“ von William Cavendish und Solleysel ebenfalls vergleichend neu übersetzt und interpretiert hatte, habe ich ja sehr viel dazu gelernt und meine nun, die meiste Zeit einen halbwegs brauchbaren Reitersitz im Sinne der alten Meister einzusetzen: deshalb müsste der Neue jetzt also noch viel besser gelingen als der inzwischen 16jährige Picasso vom Schimmerwald. Vielleicht ist mit ihm irgendwann sogar eine echte, hohe Pirouette drin?                                                                                                               

Einen Kappzaum zum Reiten will ich nie wieder einsetzen, damit ich nicht wieder ins Ziehen verfalle und meinen Sitz ruiniere (siehe Forschung auf:   www.schimmerwald.de/30.html   Update 01.06.2023), wie schon Francois R. de la Gueriniére und  William Cavendish klug erkannt hatten, und was auch de La Broue sagen wollte mit seinem Satz: “Der Kappzaum ist einzig dazu da, dem Pferd die Wirkungen der Kandare zu erklären!“ (also niemals als Ersatz des Zaumes/Mundstücks zum Reiten selbst!).  

Weil auch die Benutzung einer Wassertrense das Pferd und den Reiter zum Ziehen an den Zügeln bringt, und so die Haltung des Pferdes wie die des Reiters ruiniert, lehne ich ebenso die Auffassung Solleysels ab, man könne für die Ausbildung des jungen Pferdes eine Wassertrense benutzen (diese Meinung schreibt er leider in seiner Übersetzung des engl. Buches von Cavendish Letzterem zu, was überhaupt nicht der Wahrheit entspricht!).
Aus demselben Grund scheiden für mich auch Bosal und Halsring aus. in Frage. (Was man viel später, vlt. nach einigen Jahren machen möchte, wenn das Pferd schon alles unter dem Sattel perfekt ausführen kann und dies evtl. sogar schon in der Freiarbeit präsentiert, steht auf einem anderen Blatt…).

Der Ausbildungsplan der alten Meister LaBroue, Cavendish und Gueriniére sieht vor, einem jungen Pferd (4 -5 Jahre alt)  als erste Zäumung eine lange, gerade Kandare, die evtl. ein wenig hinter der Linie ist, zu geben.

Tatsächlich aber bin ich dann aber bei Poco Baio davon abgewichen, denn für die Trensenkandare mit sehr langen geraden Unterbäumen hatte ich leider keinen Produzenten gefunden (ein wenig auch, weil mir deren Einsatz nicht wirklich geheuer war...), und so entschied ich mich für die vorhandene sehr kurze Nestierkandare, in der Hoffnung dass der Kupferstich von Nestier auch aussagen soll, dass auch damit ein Anreiten gut möglich ist.

Zur Sicherheit schnallte ich einen Semikappzaum ein, konnte aber immer die Kappzaumzügel durchhängen lassen, und benutzte sie weder bei der Handarbeit noch im Sattel.

Mein guter Ersatz für die Benutzung der Kappzaumzügel in der Handarbeit und beim Reiten ist ein äußerst variabler Einsatz der Gerte zur Begrenzung der Kopf- und Halsstellung und als Richtungsanweiser, der die Kopfhaltung und Bewegung zur Seite begrenzt und so das Pferd mehr oder weniger in der beabsichtigten Spur hält, wenn es nicht/nicht ausreichend auf die Kandarenzügelhilfen reagiert, was von den Pferden sehr gut und prompt akzeptiert und befolgt wird. DIESE NEUE METHODE verhindert völlig das Risiko des Ziehens an den Zügeln und den konsekutiven Verlust des unabhängigen Reitersitzes (mein Ziel ist immer noch ein Sitz ähnlich dem des alten Herzogs von Braunschweig auf dem Reiterdenkmal vor dem Braunschweiger Schloss.). Das Pferd lernt von Anfang an, schon in der Handarbeit vom Boden aus die Kandare erkennen und muss sich nicht wieder umstellen. Die von mir in den letzten 9 Jahren eingesetzten Kandaren sind Trensenkandaren (Simple Canons) nach den alten Vorbildern.

Bei Poco Baio darf ich allerdings die Gerte nicht zu dicht an seinem Kopf positionieren, weil er sie sich sonst schnappt um mich zum Spielen zu animieren!

In den ersten drei Monaten nach Poco Baios Ankunft startete ich mit Boden-und Longenarbeit mit einem französischen Kappzaum (Cavecon) und ging nach 2 Monaten zur Handarbeit ausschließlich mit der Nestierkandare plus Gerte über. Weil ich seit über 9 Jahren nur noch einhändig mit der Trensenkandare reite, hatte ich schon nach einigen Wochen auch vom Boden aus eine annehmbar gute Zügelführung, so dass Poco problemlos und immer ruhig und gelassen an  der Hand um mich herum und geradeaus trabte.

Die angewandten Kandarenhilfen: das Signal zum Angehen ist ein kurzer Zug nach hinten an den Kandarenzügeln mit tiefgestellter Zügelhand, um den Anreiz zum Kopfvorstrecken mit Verlagerung des Gewichts zur Vorhand und damit zum Angehen zu produzieren; die Hilfe zum Anhalten ist dagegen ein Hochheben der Zügelhand zum Anziehen der Kinnkette und konsekutivem Anheben des Genicks, was zur Verlagerung des Gewichts auf die Hinterhand und damit zu einem Abbremsen des Pferdes führt. Außerdem das Herein-/Herausschieben der Vorhand durch starkes Anlegen des äußeren Zügels an den Pferdehals, und das Biegen des Pferdes/des Halses durch Spielen mit dem etwas verkürzten inneren Kandarenzügel und damit dem inneren Schenkel des Mundstücks.

Handarbeit mit der Kandare ist übrigens einzig und allein mit einhändiger Zügelführung über/neben dem Widerrist möglich und sinnvoll! Und auch ein Führen des Pferdes an einem Kandarenzügel ist schädlich, deshalb führe ich ein auf Kandare gezäumtes Pferd nur am Wangenriemen des Kopfstücks!


 Sechs Monate nach Beginn der Ausbildung (zwei Monate vor seinem fünften Geburtstag) das erste Mal Aufsitzen für 30 Sekunden, beim nächsten Mal 2 Schritte vorwärts, beim dritten Mal 6 Schritte vorwärts, usw.; beim  6. Mal dazu fünf Trabtritte auf jeder Hand.

Immer die Bewegungsrichtung und Biegung auf der Linie mit den Kandarenzügeln verlangend, was er allein häufig nicht akzeptiert/versteht, weshalb in 60% der Fälle eine Unterstützung/Begrenzung mit der seitlich vom Hals und Kopf gehaltenen Gerte erforderlich ist, die er ja so von der Hand-/Bodenarbeit her kennt und akzeptiert.

Hier kommt mir sehr zugute, dass ich seit über 9 Jahren keine Sporen mehr benutzt und deshalb zum Ersatz eine gute, sehr flexible und manchmal unorthodoxe Handhabung der Gerte erlernt habe.

Auf diese Weise konnte ich bisher sehr leicht meinen Sitz behalten, ohne ziehen zu müssen, ohne die Schultern einzurollen, und ohne nach vorn zu fallen, den Blick erhoben geradeaus immer zwischen den Pferdeohren hindurch (zum Wenden also immer erst den Kopf des Pferdes stellend und dann mit seitl. Begrenzung durch die Pferdeohren auf die beabsichtige Reitlinie blickend, ohne Blick und Kopf zu senken): eben ganz so wie es die Alten empfohlen haben.

Die ersten Male bekam Poco noch die psychische Unterstützung einer Longe (am eingeschnalltem Halbkappzaum), dann war zweimal nur noch eine ihm bekannte Person in der Zirkelmitte, dann erst ganz allein in der Bahn;  beim vierten Mal im Beisein von Paco, der im Schritt longiert wurde und den er von gemeinsamen Spaziergängen im Gelände kennt.
                                                                                                      
Dann wurde eine zweite Änderung des Ausbildungsplans nötig: weil ich gemerkt hatte, dass ich die Kappzaumzügel gar nicht einsetzte, hatte ich den Semikappzaum ausgeschnallt. Das führte leider dazu, dass Poco Baio, der immerzu extrem viel mit seinem Maul und seiner Zunge spielt (auch außerhalb der Arbeit) sofort entdeckte, dass er nun das Maul so weit öffnen konnte, dass er die Schaumkette, die ja bei der Nestierkandare sehr nah unter den Lippen hängt, ins Maul ziehen konnte. Dabei verhakte sie sich zweimal hinter den Vorderzähnen, sodass er sie selbst nicht wieder dort lösen konnte, was ihn natürlich sehr erschreckte und aufregte. So wurde mir klar, dass bis dahin der Semikappzaum als Nasenriemen gewirkt und ihn in die ersten Ausbildungswochen davor geschützt hatte. Deshalb wechselte ich danach auf die mittellange Trensenkandare, bei der er die Schaumkette nicht erreichen kann, was ich ja ohnehin für die nächsten Wochen beabsichtigt hatte. Diese hat einen mittelstarken Abgang des Unterbaums mit 45°.

Auch Nestier hat ja auf seinem Bild einen Nasenriemen benutzt, und auf den Darstellungen des 16./17./und 18. Jhdts. sieht man einen Nasenriemen bei ca. der Hälfte der Pferde.

Der Vorteil langer Unterbäume ist, dass das Pferd frühzeitig bemerkt, wenn die Zügel angezogen werden und sich deshalb gut auf die weitere ganze Zügelhilfe vorbereiten kann (eine kurze Kandare wird deshalb auch als Signalzaum bezeichnet, mit dem man nur kurze Signalanzüge tätigt, der aber keine für das Pferd angenehme dauernde Anlehnung zulässt, weil der Zügelweg viel zu kurz für einen Ausgleich störender Bewegungen ist).

Schon bei einer ersten Handarbeit mit dieser längeren Kandare konnte ich wesentlich feiner ein Temporeduzieren und dann Anhalten einleiten, und dasselbe war dann auch unter dem Sattel der Fall.

Allerdings ist für das Pferd die Versuchung, einen der langen Unterbäume ins Maul zu nehmen, bei dieser Kandare groß, und so muss ich auch bei dieser verhindern, dass das Pferdemaul sich zu weit öffnen kann, damit sich nicht ein Unterbaum quer auf den Unterkieferzähnen einhakt, was denselben Schrecken beim Pferd wie oben beschrieben auslösen kann: also ist auch hier ein Nasenriemen nötig. (Den hatte ich deshalb auch schon immer bei Picasso mit der noch längeren Kandare benutzen müssen). Und dies ist auch einer der Gründe dafür, Handarbeit mit einer Kandare nicht nur an einem Kandarenzügel zu versuchen! (Im Gegensatz dazu war bei Paco auch mit der kurzen Nestierkandare nie ein Nasenriemen nötig).

Damit das Pferd die Richtungsanweisung immer ausschließlich von meinen Hilfen bekommt, habe ich mir vorgenommen niemals an der Wand auf dem ersten Hufschlag zu reiten, was natürlich wesentlich mehr Konzentration bei Reiter und Pferd erfordert als wenn die Wand (die stärkste „Hilfe“, die wir kennen) automatisch immer einwirkt, doch dadurch wird die Ausbildung qualitativ viel wertvoller und geht im Endeffekt dann auch schneller voran. Ziel und Grundlage der Reitkunst ist ja: "Das Pferd ist zwischen Hand und Schenkeln", auf dem ersten Husfschlag aber ist es zwischen "Wand und Schenkel (dem bahninneren)": das ist keine Kunst, sondern verdirbt im Gegenteil Reiter und Pferd!

Der erste Ausritt dann 4 Wochen nach dem ersten Sattelauflegen, 40min in Begleitung von Paco, war erstaunlich entspannt: die plötzlich los kreischende Flex auf einem Dach neben der Straße, der wummernde Kärcher in einem Garten an der Straße, der Kinderwagen auf einer Brücke und ein  lautloser Radfahrer, der plötzlich ohne sich anzumelden zwischen den Pferde durch raste, wurden von Poco ohne Schrecken registriert.
Nur der plötzlich von links aus dem Gebüsch rasende, ebenfalls lautlose Radfahrer, der unseren Weg 3m vor uns kreuzte, veranlasste ihn zu einem kleinen Sprung zur Seite. Hierbei machte es sich bezahlt, dass ich seit Beginn der Longen- und Handarbeit und unter dem Sattel immer darauf geachtet hatte, die Hinterbeine des Pferdes immer zum Schwerpunkt, und nie weg von seinem Schwerpunkt treten zu lassen: auf diese Weise kann das Pferd den Reiter einfach zur Seite tragen, ohne das Gleichgewicht beider zu gefährden. Auch dass ich seit Jahren den Reflex trainiert habe, bei Gefahr sofort in die Mähne zu greifen und mich niemals an den Zügeln festzuhalten, hat sich dabei wieder einmal ausgezahlt.

                                                      
Schimmerwald, 28. März 2025




Update 25.05.25


Erneute Abweichung vom Ausbildungsplan: La Broue empfiehlt zum ersten Angaloppieren unter dem Reiter, die Kinnkette wegzulassen. Aber ich war immer schon ein extrem vorsichtiger Mensch (weshalb ich ja mich ja auch für diese Reitweise und diese Pferderasse entschieden hatte), und aus dieser Vorsicht heraus hatte ich die Kinnkette trotzdem beim ersten Angaloppieren benutzt: Sicherheit geht immer vor!
Ich habe mir diese Entscheidung auch etwas schön geredet damit, dass ja La Broue eine wesentlich schärfere Kinnkette benutzte, mit viel weniger Kettengliedern, welche obendrein kantiger waren als die heute üblichen viel weicheren, die man ja eher als Kettengliederband bezeichnen könnte; und auch, dass wahrscheinlich damals die Kinnketten enger angelegt wurden als ich es heute mache.
                                                                                     
Weil Poco Baio mein erstes Anreit-Pferd nach 14 Jahren ist,  musste ich erst wieder herausfinden, dass man ein junges Pferd nicht mit der Galopphilfe überfallen darf, sondern dass man es zunächst durch Anfeuern aus dem immer schneller werdenden Trab von selbst in den Galopp fallen lassen muss.
Meine Ungeduld ließ mich dies einige Male vergessen, was dazu führte dass er sich zweimal „bewehrte“ (wie La Broue das nennt), indem er das Mundstück „schluckte“ (d.h. es in den Bereich der Backenzähne hoch zog, wo er es durch Zubeißen blockieren kann). Das tat er auch zweimal, riss dabei den Kopf hoch, ließ das aber schon beim nächsten Galoppsprung sein und galoppierte so wie immer locker und gleichmäßig weiter.
Erst einen Tag später registrierte ich eine neue Bissmarke im dünnwandigen Mundstück und den völlig zur rechten Seite abgebogenen rechten Unterbaum (der dünne Edelstahl meiner Trensenkandaren ist ja sehr weich und biegsam): so war es vielleicht auch ein Glück, dass ich es nicht geschafft hatte, die lange gerade Trensenkandare anfertigen zu lassen, bei der ich evtl. vorgehabt hatte, die Dicke der Gebisswand zu verstärken, und ebenso die Dicke der Unterbäume, damit Letztere nicht alle 6-10 Wochen wieder heiß in die richtige Form zurück gebogen werden müssen (dazu muss die Biegestelle rot glühend erhitzt werden, sonst kommt es zu einem Ermüdungsbruch).